Kopfbäume

Bäume mit Köpfchen... und weit zurückreichender Geschichte

Kopfbäume by Wilhelm Spickers
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Schon der junge Moses soll ja in einem Weidenkorb gelegen haben. Darstellungen von Kopfweiden gibt es aus dem späten Mittelalter (Stundenbuch des Herzogs von Berry, um 1410) oder in Gemälden von Hieronymus Bosch und Pieter Brueghel d. Ä..

Der Kopfholzbetrieb geht einher mit der Grünlandwirtschaft, und diese ist im Niederrheinischen Tiefland seit der Eisenzeit (etwa 800 v. Chr.) bekannt. Viele Jahrhunderte nutzten die Menschen also schon den Vorteil, einen beträchtlichen Holzertrag zu erzielen, ohne den Graswuchs auf Wiesen und Weiden durch starke Beschattung zu beeinträchtigen.

Um Kopf und Kragen

Erst das regelmäßige Abschlagen meist in einer Höhe von etwa zwei Metern lässt einen Kopfbaum entstehen. An den Schnittstellen treiben in großer Zahl neue Zweige, die je nach Nutzungszweck erneut abgeschnitten werden. So verdickt sich im Laufe der Zeit der obere Teil des Stammes, und es entsteht der typische Kopf.

Von der Nutzung hängt ab, in welchen Zeitspannen die Zweige oder Äste abgeschnitten werden. Von Kopfweiden etwa können alle zwei, drei Jahre Ruten zum Flechten gewonnen werden. Für Gerätestiele oder Zaunpfosten muß man schon ein bißchen länger warten, und Brennholzstärke erreichen die Zweige nach etwa zehn Jahren.

Zu lange wiederum darf der Abstand zwischen den Schnittarbeiten nicht werden, denn die ausladenden Äste verändern die Statik des Baumes – er wird "kopflastig". Und dann reicht ein kräftiges Sommergewitter, um den Baum auseinanderbrechen zu lassen. Aber so weit ließen es unsere Vorfahren nicht kommen, denn die Kopfbäume waren für sie von großem Wert.

Auf dem Holzweg? – Vom Haus bis zum Schuh

Beim Bau von Fachwerkhäusern wurden Weidenflechtruten eingesetzt, die dem Lehm in der Gefachwand den nötigen Halt boten. Stärkere Äste wurden als Zaunpfähle gesetzt und mit Flechtwerk verbunden. Die Korbmacherei lieferte eine Vielzahl von Gegenständen des täglichen Gebrauchs: Körbe natürlich, aber auch Reusen, Sitzgelegenheiten oder Kinderwiegen. Arbeitsgeräte in der Landwirtschaft hatten selbstverständlich Stiele aus Weidenholz, das sich durch leichtes Gewicht und seine Zähigkeit auszeichnet. Und in den Gärten rankten die Bohnen an Stangen aus mehrjährigen Weidenzweigen.

Brennholz lieferten Weiden und andere Kopfbäume in schöner Regelmäßigkeit. Gebündelte Zweige wurden auch zum Heizen des Backofens verwendet. In der Holzschuhmacherei war die Weide erste Wahl, denn nur sie lieferte den Rohstoff für langlebige Klompen und garantiert trockene Füße. Was wäre der Vluyner Klompenball ohne diese Handwerkstradition!

Kopfweh – Heilkraft aus der Natur

Und wem das alles noch nicht reicht: Selbst Heilkräfte besitzt die Weide. Ihre Rinde enthält Salicin, das im Körper in Salicylsäure umgewandelt wird. Deren Wirksamkeit gegen Schmerzen und Fieber kennt wohl jeder (Aspirin). Allerdings braucht es dazu eine Apotheke und keinen Kopfbaum.

Kulturgut tut Natur gut!

Wirtschaftliche Bedeutung haben die Kopfbäume heute kaum noch. Industrielle Ersatzprodukte haben sich durchgesetzt. Und wo der unmittelbare Nutzen fehlt, unterbleibt auch der notwendige Schnitt der Kopfbäume – wenn sie nicht sowieso gerodet wurden. Die Bäume mit Köpfchen – so prägend für unsere Region – verschwinden aus dem Landschaftsbild, und mit ihnen viele Tiere, denen die Kopfbäume Wohnstätte und Futterquelle sind. Bis zu 200 Arten kann eine Kopfweide beherbergen.

Durch das häufige Schneiden und die Ausprägung des Kopfes entstehen mit der Zeit Hohlräume. Dort fühlen sich Fledermäuse ebenso zuhause wie verschiedene Singvögel, so zum Beispiel der Gartenrotschwanz, die Blau- und Weidenmeise oder der Feldsperling. Zahlreiche Insektenarten bevölkern die vielfältigen Lebensräume eines Kopfbaumes. Neben alten Obstwiesen sind Kopfweiden auch für den Steinkauz ein idealer Unterschlupf. In Deutschland zählt Nordrhein-Westfalen, und hier besonders der Niederrhein, zu seinem Hauptverbreitungsgebiet. Allerdings wird der kleinen Eule auch hier der Lebensraum entzogen, so daß sie zu den stark gefährdeten Arten gehört.

Kulturelles Erbe

Die Kopfweiden sind unser kulturelles Erbe. Der Charakterbaum des Niederrheins hat heute zwar kaum noch wirtschaftlichen Wert, seine ökologische und landschaftsästhetische Bedeutung dagegen können wir auf einem Spaziergang durch Feld und Flur erleben.

Übrigens: Die Kopfweide wurde auch auf das Wappenschild des Kreises Wesel gehoben. 

Für Nachwuchs sorgen...

Einen Kopfbaum zu pflanzen, ist nicht schwer. Vor allem die Kopfweide ist pflanz- und pflegeleicht. Das Ausgangsmaterial, die sogenannte Setzstange, fällt bei der Pflege vorhandener Kopfweiden an. Meist können die Ortsgruppen der Naturschutzverbände hier weiterhelfen (Adresse siehe unten).

Eine Setzstange sollte etwa drei Meter lang sein und einen Durchmesser von mindestens fünf Zentimetern haben. Stangen mit einer Gabel oder einem Quirl am oberen Ende eignen sich besonders, da sie die Kopfbildung begünstigen. Die Setzstange soll keine Seitenzweige aufweisen. Diese also gegebenenfalls glatt am Stamm abschneiden.

Für das Pflanzloch ist die Erde etwa 80 cm tief auszuheben (ca. 2 ½ bis 3 Spatenstiche). Die Weidenstange wird eingesetzt und das Pflanzloch mit der ausgehobenen Erde verfüllt. Besonders wichtig für die Wurzelbildung: Pflanzstelle durchdringend wässern (einschlämmen), damit die Erde rund um die Stange anliegt.

Im ersten Jahr braucht der neue junge Kopfbaum genug Feuchtigkeit. Deshalb darf die Pflanzstelle nicht vollständig austrocknen. Sollten am Stamm Seitentriebe sprießen, diese sofort (also noch im unverholzten grünen Zustand) entfernen. Sie lassen sich ganz einfach mit dem Daumen abknicken. Rund um den Kopf bleiben die Triebe natürlich stehen.

Im ersten oder zweiten Winter nach dem Setzen werden die Kopftriebe zurückgeschnitten, etwa auf Daumenbreite. Hat die Weidenstange Wurzeln geschlagen, entwickelt sich schon im Laufe weniger Jahre ein Kopfbaum. Regelmäßiger Rückschnitt – etwa alle drei bis sechs Jahre – liefert gutes Material für Zäune, Kinderspiel (Weidentipi oder Weidentunnel), Korbflechterei – und natürlich für neue Kopfweiden!

Wie gut sich Kopfweiden im Hausgarten machen, davon kann sich jeder selbst überzeugen. In Neukirchen-Vluyn stehen Bäume mit Köpfchen zum Beispiel am Grotfeldsweg und am Schmitzfeld.


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